Verantwortlich: Cornelia Rychen
Bereitgestellt: 15.09.2022
Monatsgedanken SEPTEMBER 2022 «Nicht mehr haben, als was ich lieben kann»
Klimawandel, Krieg, Weizenknappheit, Strommangellage – wie ist geht es Ihnen mit diesen grossen Themen der Gegenwart? Haben auch Sie ein ungutes Gefühl im Bauch und fragen sich, was die Zukunft wohl noch bringen mag?
Ich schon. Manchmal habe ich Angst – Angst um mich und meine Lieben, Angst, eines Tages nicht mehr genug zum Leben zu haben. In solchen Momenten merke ich, was Gottvertrauen heisst. In heiteren Momenten Göttin Gott mein Leben anzuvertrauen ist nicht so schwer. In dunklen dagegen sehr. Und doch ist Glaube gerade da zuhause, wo ich mich mit Vertrauen schwertue. Auch in dieser Angst, plötzlich zu wenig zum Leben zu haben. Kein Wunder, sprach Jesus immer wieder auch vom Besitz, wenn es um Gottvertrauen ging – und dass gerade ein Überfluss an Materiellem uns ängstlich machen und den Blick auf Wesentliches verstellen kann (z.B. Mt 6,19-21).
Die Ärztin und Schriftstellerin Rachel Naomi Remen erzählt dazu eine wunderbare Geschichte*:
«Vor langer Zeit wurden der kleine Sohn eines befreundeten Ehepaares und ich selbst gute Freunde. Wir spielten oft lange mit seinen beiden kleinen Autos; wir fuhren damit über die Fensterbretter, parkten sie ein, liessen sie Rennen machen und erzählten uns dabei die ganze Zeit, was wir bei unseren ‘Fahrten’ auf der Strasse an uns vorbeiziehen sahen. Manchmal hatte ich das Auto mit dem Sprung im Rad, manchmal hatte er es. Wir hatten eine Menge Spass, und ich liebte diesen kleinen Jungen von Herzen.
Damals sammelten die meisten sechsjährigen Jungen diese kleinen ‘Hot-Wheels’-Autos mit Leidenschaft. Kenny träumte davon, mehr von ihnen zu besitzen, und ich hätte ihm liebend gern weitere Autos gekauft, wusste aber nicht, wie ich das anstellen sollte, ohne meinen Freunden weh zu tun. Kenny Vater war Künstler und Laienprediger, und seine Mutter war eine Hausfrau, die alles, was sie anrührte, schöner machte. Sie führten tatsächlich ein sehr reiches Leben, aber sie hatten sehr wenig Geld.
Dann begann eine der grossen Tankstellenketten eine ‘Hot Wheels’-Geschenkaktion: ein Auto für jedes Volltanken. Ich war begeistert. Schnell hatte ich das ganze Team in meiner Klinik überredet, einen Monat lang nur diese Benzinmarke zu kaufen (…). Innerhalb eines Monats hatten wir alle ‘Hot Wheels’-Typen, die damals hergestellt wurden, zusammengebracht, und ich schenkte sie Kenny in einem grossen Karton. Sie füllten alle Fensterbretter im Wohnzimmer – und dann hörte er auf, damit zu spielen. Verblüfft fragte ich ihn, warum er seine Autos nicht mehr liebe. Er schaute weg und sagte dann mit unsicherer Stimme: ‘Ich weiss nicht, wie SO VIELE Autos lieben soll, Rachel.’ Seitdem achte ich sehr darauf, nicht mehr ‘Hot Wheels’ zu besitzen, als ich lieben kann.»
Nicht mehr besitzen, als ich lieben kann, ist ein guter Leitsatz, auch gegen die Verlustangst. Auf den Winter hin will ich deshalb Estrich und Keller entrümpeln und meine «Hot Wheels» durchsehen. Nicht nur das Klima wird es danken, wenn ich nicht mehr horte, als ich brauche. Auch meinem Gottvertrauen wird es guttun.
Ihre Lilian Fankhauser, Pfarrerin in Rapperswil